Die Riesenschlange im Sack gehabt und wieder herausgelassen

Paris – Ein Fest fürs Leben?

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   Der alte Hasenfranz war noch ein junger Bauer, als er in das internationale Reisebüro des Braunauer Unternehmers, des unaussprechlichen Schickelgruber, eintreten musste. Und so begab es sich, dass er sich 1939 als Adjutant des Hauptmannes Ernst Jünger, am Westwall gegenüber der Maginot Linie wiederfand. Adjutant war vielleicht etwas übertrieben ausgedrückt, er durfte aufgrund seiner beruflichen Vorbildung die Pferde des Kriegshelden füttern, tränken und bis zur Reinlichkeit streicheln. Und so verschlug es unseren Schwejk und seinen Dienstgeber nach Paris. In der Hauptstadt der Liebe gingen die Menschen an diesem 14. Juni 1940, aber gar nicht zimperlich miteinander um. Jünger residierte im Hotel Raphael in der Avenue Kleber, nahe des Place de L-Etoile und unser Bauernfranz durfte im Stall bei den Pferden nächtigen.

Auf der Terrasse des Hotelbistros beklagte eine elegant gekleidete Dame ihrer Freundin ihr Leid: „Mein Gott was tut dieses Land mir an! Dass es mich von sich stößt, betrachten wir es kalten Bluts und schauen wir zu wie es seine Ehre und sein Leben verliert. Und was bedeuten mir die anderen? Die Reiche vergehen! Nichts ist wichtig.. Ob man es aus mystischer oder persönlicher Sicht betrachtet, es ist alles eins. Bewahren wir einen kühlen Kopf! Verhärten wir unser Herz. Warten wir.“

Die ältere Freundin beugte sich über ihre Gesprächspartnerin, umarmte sie und seufzte nur: „Ach Irene!“

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Eine Nacht, ein Schaum, keusch ein Gedicht.

In dem schummrigen Bistro in der Rue Lord Byron saßen vier Schwejks an einem Tisch, tranken literweise Rotwein und einer zitierte Mallarme. Hasenfranz verstand zwar nichts fühlte sich aber wohl. Endlich war er einmal seinem Stummer Steinscheisser-Koal-Gefängnis entronnen, zwar nicht sehr freiwillig, aber mittlerweile fing ihm diese erzwungene Freiheit zu schmecken an und wann kam einer wie er schon nach Paris?

Was wusste er von Paris? Im Religionsunterricht hatte ihnen der Stummer Pfarrer beigebracht, wie die bösen Franzosen ihr schönes Heimatland im Dreissigjährigen Krieg und unter Napoleon brandschatzten. Ja und dann las er ihnen diese rührselige Geschichte vor: „Ist das eine Revolte?“ soll Ludwig XVI dumm gefragt haben? „Nein Sire“, erwiderte ein Herzog, „es ist eine Revolution!“. Dann erzählte ihnen der Pfarrer von der Guillotine und der Schreckensherrschaft, der 17.000 Franzosen zum Opfer fielen. Was er ihnen nicht erzählte, waren: Die Menschenrechte und über die Aufklärung, die  bis ins späte zwanzigste Jahrhundert nicht bis nach Stumm vorgedrungen war. Und jetzt saß unser naiver Bauer in der Metropole der Aufklärung und versuchte mit seinen Barbaren  die ewige Dunkelheit wieder zurückzubringen.

Als er trunken in die Nacht hinaustrat, sah er einen Engel voll Schönheit und Süsse, kurz war alles licht und klar, ehe er in sein stinkendes Pferdstroh kroch.

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Ein Leichnam bei dem anderen hingebreitet.

Die Blumen des Bösen sprossen wie wild.

Er hatte von Zügen geträumt, von langen Zügen. Züge und Waggons, die mit Menschen vollgepfercht waren, die nur in eine Richtung fuhren. Menschen die für diese letzte Fahrt nichts bezahlen mussten, außer mit ihrem Leben.

Ein Stiefeltritt des Hauptmannes weckte ihn unsanft.

Die Pferde mussten heute besonders glänzen und wurden gesckmückt. Der Schickelgruber und seine Entourage kamen nach Paris um in einem pompösen Triumphzug die Welt zu verarschen. Wieder saßen die Schwejks in ihrem Bistro beisammen. Einer berichtete von einer Besprechung gehört zu haben, daß es erste Massaker an Zivilisten gegeben habe, verübt von der Wehrmacht in den Orten Vinkt, Ognies und Courieres. Außerdem gab es einen Befehl, aufgegriffene deutsche, österreichische und tschechoslowakische Emigranten in britischer oder farnzösischer Uniform, standrechtlich zu erschiessen. Als sein Hauptmann von der Parade in den Stall zurückkam fasste sich Hasenfranz ein Herz und sprach ihn auf das Gehörte an. „Der Krieg musste es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche“ Und da wusste selbst unser Bäuerlein, daß ihn der Steinscheisser-Koarl wieder einmal eingeholt hatte.

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Mit einem Vulkan ist nicht zu reden.

Und er war ausgebrochen der Vulkan. Die ersten Deportationen in die Konzentrationslager waren durchgeführt und ein Teil der Bevölkerung begann zu kollaborieren. Die Schriftstellerin saß völlig verzweifelt in der Hotellobby: „Die Franzosen waren der Republik überdrüssig wie einer alten Ehefrau. Die Diktatur war für sie ein Seitensprung, ein Ehebruch. Sie wollten ihre Frau zwar betrügen, aber nicht umbringen. Jetzt sehen sie, daß sie tot ist ihre Republik, ihre Freiheit. Sie trauern um sie.“

 Am Nebentisch stand rasch ein junger Mann auf und verschwand um zu telefonieren. Die Gendarmen warten schon. Sie warten immer.Zwar an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, aber sie sind pünktlich und gründlich. Es entgeht ihnen niemand, sie kommen wieder, bis sie ihre Pflicht erfüllt haben, selbst wenn die Pflicht bedeutet: Ein Zug ohne Wiederkehr. Der Typhus im Krankenbau. Der Verbrennungsofen.

Mit einem Vulkan ist nicht zu reden.

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Deiner Brauen finstrer Strich.

Der Hasenfranz stand srramm vor seinem Hauptmann.

„Das Abenteuer ist das Konzentrat des Lebens“ Sie waren wohlbehalten von ihrem Ausflug in den Kaukasus zurückgekommen. Das Bäuerlein war aufgestiegen und durfte sich jetzt um die persönliche Betreuung des Dichtersoldaten kümmern. „Den großen Umstürzen geht eine besondere Stimmung voraus. Jeder fühlt hofft oder fürchtet, dass etwas anderes kommen wird, notwendig kommen muss.“

Jünger grinste Stülpnagel an. „Wir werden die Riesenschlange in den Sack stecken und die Walküren werden uns zur Seite stehen.“ Doch es kam anders. Der Schickelgruber war aus einem härteren Granit geschnitzt, nämlich den des Allensteiger Forstes und außerdem hielt der Stoascheisser-Koarl seine schützende Hand über ihn. Doch keinen Schutz gab es für die Juden von Paris. Als Irene Nemirovsky  verhaftet wurde und ihr Mann verzweifelt bei Marschall Petain um eine Begnadigung ansuchte, lenkte er die Aufmerksamt des Vichy Regimes auch auf sich und wurde ebenso wie seine Frau nach Auschwitz deportiert.

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Deiner Hüften sanftes Biegen.

Der Hasenfranz war aus dem Nachtcafe getorkelt. Unter der linken Achsel befand sich ein Baguette, im rechten Arm hatte sich eine Kellnerin eingehakt. Er überlegte gerade welches der beiden Kleinodien er zurücklassen sollte, bis ihm einfiel daß das Baguette nicht wegen sentimentaler oder geschlechtlicher Collaboration belangt werden konnte. Er lud den Nachtfalter am mitternächtlichen Trottoir ab, als ein Wagen scharf neben ihm bremste. Ein befreundeter Schwejk zog ihn in den Fonds des Taxis und flüsterte ihm zu: „Das Attentat auf den Schickelgruber ist fehlgeschlagen. Es gibt Gerüchte dein Hauptmann sei darin verwickelt, ihr seid in Gefahr.“

„Es lebe der Tyrannenmord“, lallte Hasenfranz und „das muss begossen werden, Chauffeur, bringen sie uns ins Moulin Rouge!“. Die Antwort des Automobilsten war ernüchternd. Er warf sie auf die Straße, da es fünf Minuten vor der Verdunkelungssperre war. Wir haben die Riesenschlange im Sack gehabt und wieder herausgelassen, dachte das Bäuerlein verzweifelt und schlief unruhig dem nahen Tag entgegen.

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Stamm Kain, zum Himmel auf dich schwinge.

Zur Erde schleudre Gott!

Auf diese Erde, auf der es möglich ist, daß eine Jüdin, zwanzig Jahre im Land lebt und noch immer keine Staatsbürgerschaft bekommt. Auf diese Erde, die es zulässt, daß ein liebender Man der seine Frau retten will, im Konzentrationslager vergast wird. Auf diese Erde, die es zulässt, dass noch immer nicht über Millionen Opfer des Nationalsozialismus und anderer Terroregime Zeugnis abgelegt wurde und wird. Auf diese Erde, wo immer noch Tausende Täter ungestraft herumlaufen und Lügen verbreiten dürfen.

Und auch auf eine Erde, wo eine mutige Mutter ihre beiden Töchter rettet. Auf eine Erde, wo es Jahrzehnte später  möglich ist, die Opfer der Vergessenheit zu entreissen. Denn nur so haben die Täter gesiegt, wenn der Mantel des Schweigens über ihre Taten und Opfer gebreitet wird.

Und deshalb will ich zum Abschluß Irene Nemirovsky zu Wort kommen lassen:

Um zu tragen solch schwere Last

Bedarf es Sisyphos, deiner Kraft.

Zwar fehlt mir nicht der Mut zur Tat.

Doch weit ist das Ziel und die Zeit nur kurz.

Der Wein der Einsamkeit.

Maximilian Huber

Der Text entstand unter Verwendung und Einarbeitung von Zitaten Irene Nemirovskys, Stephane Mallarmes und Charles Baudelaires.

Ernst Jünger war eine reale Person.

Der Hasenfranz ist eine Kunstfigur